Kurgast by Hesse Hermann

Kurgast by Hesse Hermann

Autor:Hesse, Hermann [Hesse, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2015-09-08T16:00:00+00:00


Mißmut

Wenn ich heute an den Optimismus meines ersten Badener Tages zurückdenke, an meine damalige kindliche Hoffnungsfreudigkeit, an mein naives Vertrauen in diese Badekur und gar an die schon mehr frivole, selbstgefällige Einbildung und knabenhafte Eitelkeit, mit der ich damals mich als verhältnismäßig jung und rüstig, als einen hoffnungsvollen Leichtkranken einschätzte; wenn ich mich der ganzen spielerisch leichtsinnigen Stimmung jener ersten Tage erinnere, meines primitiven Negerglaubens an Baden, an die Harmlosigkeit und Heilbarkeit meiner Ischias, an die warmen Quellen, an den Badearzt, an die Diathermie und die Quarzlampe: dann kann ich nur schwer dem Drang widerstehen, mich vor den Spiegel zu stellen und mir selber die Zunge herauszustrecken. Mein Gott, wie sind diese Einbildungen geschwunden, wie sind diese Hoffnungen erloschen, was ist übriggeblieben von jenem aufrechten, elastischen, wohlwollend lächelnden Ankömmling, der an seinem Malakkastock spielend und von sich selbst entzückt die Badestraße hinabtanzte! Wie ein richtiger Affe komme ich mir jetzt vor. Ja, und was ist übriggeblieben von der so optimistischen, glattlackierten, anpassungsbereiten, weltmännischen Philosophie, mit der ich damals spielte und mich zierte wie mit meinem Malakkastock!

Zwar dieser Spazierstock ist noch unverändert. Noch gestern habe ich das Anerbieten des Bademeisters, einen jener verfluchten Gummizapfen über das Ende meines hübschen Stockes zu stülpen, mit Entrüstung zurückgewiesen. Aber wer weiß, ob ich dies Anerbieten, wenn es morgen wiederholt wird, nicht annehme?

Ich habe scheußliche Schmerzen, und nicht bloß beim Gehen, sondern auch beim Sitzen, so daß ich seit vorgestern fast immer liege. Wenn ich morgens aus meinem Bade steige, so machen die zwei kleinen Steinstufen mir schwere Arbeit, keuchend und schwitzend ziehe ich mich am Geländer empor, habe kaum mehr die Kraft, das Badetuch um mich zu schlagen, und sinke dann für eine Weile im Stuhl zusammen. Das Anziehen der Hausschuhe, des Schlafrockes ist eine verhaßte schwere Pflicht, der Weg bis zum Schwefelbrunnen und später vom Brunnen zum Lift, vom Lift ins Schlafzimmer ist eine scheußlich mühsame, endlose, schmerzhafte Reise. Ich benütze bei dieser Morgenreise alle denkbaren Hilfsmittel, halte mich am Badewärter, am Türpfosten, an jeder Brüstung fest, taste mich den Wänden nach und bewege Beine und Rücken ohne jede ästhetische Rücksicht in jener schwerfällig-traurigen, halb schwimmenden Manier, die ich einstmals (o wie unsäglich lange ist das her!) mit humorvollem Mitleid an jener alten Dame beobachtete, die ich mit einer Seelöwin vergleichen zu müssen meinte. Wenn jemals ein frivoles Witzwort strafend auf des Spötters Haupt zurückfiel, so ist es hier geschehen.

Morgens, wenn ich auf dem Bettrand sitze und mich vor der qualvollen Aufgabe scheue, mich zu meinen Schuhen niederzubücken, oder wenn ich nach dem Bade, todmüde, halbschlummernd auf dem Stuhl in der Badezelle hänge, dann sagt mir die Erinnerung, daß es noch vor kurzem, noch vor wenigen Wochen Morgen gegeben hat, an denen ich, kaum dem Bett entschlüpft, kraftvoll und genau meine Atemübungen vornahm, den Brustkorb dehnte, den Bauch zum Riemen einzog, den gestauten Atem beherrscht und rhythmisch wie aus einer Oboe entströmen ließ. Es muß wahr sein, aber schon kann ich nicht mehr recht daran glauben, daß ich einst mit straffgestreckten Beinen und



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